Aus Sorge um Reinickendorf-West
Mich erreichte vor wenigen Tagen eine E-Mail, die von der Sorge um den Zustand und die Zukunft des Ortsteiles Reinickendorf-West geprägt ist.
Meine Gedanken und Überlegungen dazu habe ich dem besorgten Bürger unmittelbar mitgeteilt. Ich empfinde diese Korrespondenz so wichtig und bezeichnend für das, was mir täglich auf den Straßen in Reinickendorf-West begegnet und warum die Menschen mir ihr ‚Herz ausschütten‘, dass ich mich entschlossen habe, diesen Briefwechsel unter Wahrung der Anonymität des Bürgers/der Bürgerin auf meine WebSeite einzustellen:
„Sehr geehrte Frau Demirbüken-Wegner,
ich wohne selber in Reinickendorf und muss mit Sorgen die Scharnweberstrasse beobachten. Dort und in der Umgebung werden die Gewerbetreibenden vertrieben, da die Bewohner die Strassen und Plätze verschandeln. Ich befürchte, dass dort eine Spannung entsteht, die unbedingt zu beachten ist. Wieso gibt es nicht gemeinsame Aktionen? Die Besucher fühlen sich dort unsicher, was auch schon in den Medien z.B. in Hamburg erwähnt worden ist. Wie sehen hierzu ihre Pläne aus?
…
Mit freundlichen Grüßen
…“
Meine Antwort:
Sehr geehrte/r Frau/Herr …,
zunächst einmal haben Sie freundlichen Dank für Ihre Mail. …
Zu Ihrer Frage:
Die Entwicklungen der letzten Jahre rund um den Kurt-Schumacher-Platz und die Scharnweberstraße machen uns alle, die sich um und in Reinickendorf-West kümmern, Sorgen. Sie beschreiben vollkommen zutreffend die Situation. Ladenleerstand, BilligArtikelGeschäfte, Alkoholkonsum in breiter Öffentlichkeit sind einige dieser sichtbaren Missstände hier. Nun kann man über die Gründe vielfältig diskutieren. Der stark zugenommene Flugverkehr am Flughafen Tegel und die daraus entstehenden Lärmbelastungen haben auch dazu beigetragen, dass jahrzehntelange Sozialstrukturen sich nachteilig verändert haben und das eher kleinstädtisch-geruhsame Miteinander, das noch in den 1980ern zu beobachten war, verändert hat. Der Wohnungsbaudruck der letzten Jahre (und hier kommt nun ja noch mehr auf uns zu) führte zudem zu einer deutlichen Änderung der Bebauung. Die kleinen Einfamilienhäuser in der Schilling-, Hechel- oder Zobeltitzstraße wichen modernen Wohnhäusern; die Bevölkerungsdichte stieg damit, die Konkurrenzsituation für die Miethausbebauung aus den frühen Zeiten des 20. Jahrhunderts führte zu einer nachteiligen sozialen Durchmischung; der Verdrängungsdruck aus den weiter innerstädtischen Bereichen Berlins und die dazu vergleichsweise günstigen Mieten in Reinickendorf-West (analog im Übrigen auch zu Reinickendorf-Ost) beschleunigten hier weitere Entwicklungen. Folgt man den meisten Juristen, ist die Schließung des Flughafens Tegel nach einer Inbetriebnahme des BER unumkehrbar. Es ist also zu erwarten, dass mit einem Weniger an Umweltbelastung ein Mehr an Aufenthaltsqualität wie Lebensqualität folgen wird. Diese "automatische" Entwicklung allein ist nicht ausreichend, und darüber herrscht m.E. ein breiter politischer Konsens, hier unterscheiden sich auch zur Abgeordnetenhauswahl die politischen Bewerber nicht wirklich voneinander! Eine isolierte Maßnahmen-Betrachtung der Scharnweberstraße allein ist sicherlich nicht zielführend. Die von CDU wie SPD gleichermaßen gewollte und durchgesetzte gesetzlich vorgegebene Reduzierung von Spielhallen/Wettbüros etc. wird auch kein Allheilmittel sein. Mit dem Anfang April gestarteten Quartiersmanagement ist ein erster Schritt zum Besseren getan worden. Dieses Gebiet umfasst (trotz des Namens 'AVA-Klixstraße‘) eben auch den Bereich Scharnweberstraße. Die zwei großen Mietwohnungsanbieter (Charlottenburger Baugenossenschaft & GEWOBAG) wie auch kleinere private Anbieter hier haben und werden weiter erhebliche Investitionsmittel in die Optimierung und Verbesserung der Wohnqualität bereitstellen. Das Bezirksamt Reinickendorf hat im Rahmen seiner (bescheiden-übersichtlichen) Investitionsmittel Investitionen bspw. in die Bildungsinfrastruktur vorgenommen. Die im Quartier tätigen Freien Sozialen Träger wie Albatros gGmbH, Selam gUG, Lebenswelt, die beiden großen Kirchengemeinden und viele andere Verbünde und Einrichtungen sind durchaus erfolgreich bemüht, den sozialen Verwerfungen im Kiez 'Paroli bieten' zu können. Meine mehr als nur monatlich stattfindenden Kieztouren bringen in den Gesprächen ständig neue Problembeschreibungen und Fragestellungen hervor. Ich koppele diese unmittelbar zurück zu den Verantwortlichen hier im Bezirk. Bezirksbürgermeister Balzer, der bei mehreren Gelegenheiten mit mir zusammen hier unterwegs ist, nimmt sich jedesmal insbesondere der Fragen in der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Straßenbildes an. In seinen monatlichen Runden mit der Polizei werden diese Dinge angesprochen und Maßnahmen besprochen. Sie sehen, die Situation ist im Fokus der Betrachtung. Patentrezepte oder gar schnelle Lösungen gibt es nicht. So wie schleichend und langjährig die Probleme im Kiez größer wurden, so werden diese mindestens genauso langfristig erst wieder bewältigt und zum Guten gewendet werden können. … Ich bin politisch seit nun gut fünf Jahren hier unterwegs, ständig, wahlzeitenunabhängig, bei jedem Wind und Wetter, nicht immer konfliktfrei, nicht immer mit 'Sonne im Gesicht'. Aber ich bin da! Mein Supermarkt, mein Blumengeschäft, mein Friseur, meine Autowerkstatt, mein Lieblingsbäcker, mein Eiscafé, meine Bankfiliale, all das finde und habe ich hier in Reinickendorf-West. Ich bin also mittendrin im Leben hier, und das wird auch so bleiben.
Ich habe mit meiner Antwort versucht, einiges im Sinne einer Verbesserung der Situation wie in Ihrer Fragestellung aufgeworfen, anzudeuten. Sicherlich mag dies nicht DIE Lösung bieten. Es soll zeigen, dass ich mir der Probleme bewusst bin. ...
Mit freundlichen Grüssen
Emine Demirbüken-Wegner