Diese Frau regiert in Berlin-Reinickendorf: „Wir müssen sicherstellen, dass Bürgerinnen und Bürger gerne ins Rathaus kommen“
Im Chefinnensessel des Reinickendorfer Rathauses sitzt seit einem Jahr Emine Demirbüken-Wegner (CDU). Die Wiederholungswahl im Frühjahr 2023 veränderte auch die Mehrheitsverhältnisse im Nord-Berliner Bezirk. Eine erst 2021 gebildete Ampelregierung verlor ihre Mehrheit im Bezirksparlament. Demirbüken-Wegner, die zwei Jahre zuvor als Vize-Bürgermeisterin wegen einer umstrittenen Abbildung in ihrer Parteizeitung im ersten Wahlgang durchgefallen war, rückte an die Bezirksspitze auf. Sie wurde damit Berlins erste Bezirksbürgermeisterin mit Mitgrationshintergrund, wie es damals hieß.
Sie sind in der Türkei geboren und kamen als Kind von Gastarbeitern nach Deutschland. Mit diesem Hintergrund waren Sie an vielen Orten und Positionen die erste: als Integrationsbeauftragte, im CDU-Bundesvorstand und jetzt unter den Bezirksbürgermeistern. Inwiefern prägen diese Erfahrungen heute Ihre Arbeit an der Spitze des Reinickendorfer Bezirksamtes?
Durch meine langjährigen Erfahrungen auf unterschiedlichen Ebenen habe ich ein tiefgehendes Verständnis für politische Prozesse und institutionelle Abläufe entwickelt. Dies ermöglicht mir, komplexe Herausforderungen zu analysieren und fundierte Entscheidungen zu treffen, die den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger gerecht werden. Zudem habe ich ein breites Netzwerk aufgebaut, das es mir erleichtert, partnerschaftliche Beziehungen zu anderen Behörden, Organisationen und Gemeinschaften zu pflegen und gemeinsam an der Weiterentwicklung unseres Bezirksamtes zu arbeiten.
Der Regierende Bürgermeister, Kai Wegner, sagte kürzlich bei einem Bürgerdialog mit Blick auf das Regieren: "So einfach ist es dann doch nicht." Würden Sie das nach einem Jahr als Bürgermeisterin auch sagen?
Es ist auf jeden Fall eine anspruchsvolle Aufgabe. Aber Verwaltung ist für mich ja kein fremdes Terrain. Ich habe im Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg und dann später auf Senatsebene 23 Jahre Verwaltungserfahrung gesammelt. Im Grunde bin ich hier im Bezirksamt also wieder zuhause angekommen.
Was macht denn in Ihren Augen eine gute Verwaltung aus?
Zuallererst ist es für mich entscheidend, dass sich die Mitarbeiter wohlfühlen. Das ist für mich das A und O: Sie sollen das Gefühl haben, dass ihre Arbeit im Bezirksamt geschätzt wird und sie Teil der Fuchsfamilie -; so nenne ich das Bezirksamt -; sind. Ein respektvoller Umgang mit den Bürgern ist natürlich ebenfalls von großer Bedeutung. Wir müssen sicherstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger gerne ins Rathaus kommen, ohne das Gefühl zu haben: 'O Gott, nicht wieder Verwaltung!' Wer hierherkommt, soll das Gefühl bekommen, dass ihm zugehört und er verstanden wird.
Was heißt das konkret?
Wir haben begonnen, die Bürgerämter zu verschönern. Die Warteräume bekommen einen neuen Anstrich, mehr Pflanzen. Das Naheliegendste war natürlich, sich mit den vielen Beschwerden von Bürgern zu befassen, die keinen Termin im Bürgeramt bekommen. Eigentlich sollten die Bürger über eine zentrale Nummer einen Termin erhalten können. Nach acht Monaten musste ich aber feststellen, dass die landeseinheitliche Terminvergabe misslungen ist. Insofern sind wir damals einen Sonderweg gegangen.
Wir haben auf der Website des Bezirksamtes ein Kontaktformular eingerichtet, über das Reinickendorfer uns direkt anfragen können und, das versichere ich Ihnen, binnen kürzester Zeit einen Termin bekommen. Es gibt keine Wartezeiten von drei Monaten, keine Warteschleifen am Telefon und keine Bürgerbeschwerden mehr. übrigens schaffen wir im Sozialamt in diesen Tagen eine neue Eingangszone, damit die Menschen dort nicht mehr auf so engem Raum warten müssen. Diese sind mit modernen Aufrufanlagen ausgestattet.
Wenn Sie sagen, dass die Terminvergabe so in Reinickendorf gut funktioniert: Warum machen das nicht alle Bezirke so?
Ich bin schon einen unkonventionellen Weg gegangen, obwohl das nicht dem eigentlichen Zweck der Senatslinie entspricht. Die landesweite Terminvergabe finde ich grundsätzlich richtig. Man sollte die Einheitlichkeit der Dienstleistungen in den zwölf Bezirken schon sicherstellen. Wenn ich jedoch feststelle, dass eine Landeslinie in Bezug auf Bürgerfreundlichkeit nicht funktioniert und die Beschwerden zunehmen, dann komme ich an den Punkt, wo ich sage: Wenn das auf der Landesebene nicht gelöst wird, müssen wir das auf der Bezirksebene angehen. Das ist ein Alleingang, dessen bin ich mir bewusst, aber mit dem Ergebnis, dass wir heute keine Beschwerdebriefe mehr bekommen, sondern Dankes-E-Mails.
In der Berliner Verwaltung fehlt es überall an Mitarbeitern. Wie wollen Sie die Personallücken in den Reinickendorfer Ämtern schließen?
Wir haben im Land Berlin unabhängig von der Verwaltung ein Problem, was Personalgewinnung angeht. Insofern sind mir mit Blick auf unser Bezirksamt die Themen Ausbildung und Personalbindung sehr wichtig. Wir haben zum Beispiel seit neuestem auch vier verschiedene duale Studiengänge im Bereich öffentliche Verwaltung, Verwaltungsinformatik, Bauingenieurwesen und Soziale Arbeit, um qualifizierte Nachwuchskräfte auszubilden. Darüber hinaus bieten wir noch fünf weitere Ausbildungsberufe an. Auch unsere Stellenausschreibungen überarbeiten wir gerade, damit alles kompakt auf einer Seite ablesbar ist. Die heutige Generation liest keine zehn Seiten Stellengesuche mehr. Und wir betreiben eine intensive Werbung für den Nachwuchs auf unseren Social-Media-Kanälen.
Vor Kurzem hat der Senat die Jahresergebnisse der Bezirkshaushalte vorgestellt. Nach Lichtenberg hat Reinickendorf mit etwa 12,5 Millionen Euro den zweitgrößten Überschuss. Woher kommt dieses dicke Plus und was hat der Bezirk davon?
Es ist nicht so, dass wir das alles 2023 erwirtschaftet haben. Unser dickes Plus resultiert hauptsächlich aus den Jahren davor. Die Gründe sind vielfältig: Wir haben solide gewirtschaftet, sind sparsam mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen umgegangen und haben uns beispielsweise um eine Risikovorsorge bemüht, insbesondere was Preissteigerung bei den baulichen Investitionen angeht. Während der Pandemie konnten Bauvorhaben nicht wie geplant vorangetrieben werden. Insofern wurden viele Ausgaben für Sanierungen und dergleichen in den Jahren nicht getätigt und auf das nächste Haushaltsjahr übertragen.
Gleichzeitig warten auch in Reinickendorf jede Menge marode Sporthallen, Schulen und andere Gebäude auf dringend notwendige Sanierung. Vor einigen Jahren lag der Sanierungsbedarf allein bei den Reinickendorfer Schulen bereits bei über 370 Millionen Euro. Schieben wir den Sanierungsstau damit nicht vor uns her?
Bei den Schulen müssten wir natürlich viel mehr machen. Wir versuchen, das Notwendigste mit dem, was wir haben, aufzufangen -; zum Beispiel durch Umschichtungen im Haushalt. Das mussten wir in der Vergangenheit gerade im Energiebereich machen, wo sich die Kosten innerhalb einiger Monate um das Zwei- oder Dreifache erhöht haben. Mit Blick auf einen Haushalt, der nicht mehr, sondern effektiv weniger wird, werden wir uns generell wirklich nur noch auf die Ausgaben fokussieren können, die gesetzlich vorgeschrieben sind. Ich erhoffe mir, dass wir die Finanzierungsfragen zwischen Land und Bezirken im Rahmen der Verwaltungsreform angehen können.
Wie wirken sich die Sparvorgaben des Senats den perspektivisch auf Reinickendorf aus?
Wir mussten bisher im Bezirk nichts schließen und konnten alle Projekte noch am Leben halten. Darüber bin ich sehr froh. Was das aber mit Blick auf die Zukunft bedeutet, kann ich aktuell nicht sagen. Es wird schwieriger, gar keine Frage. Belastbare Aussagen dazu kann ich aber erst im vierten Quartal geben. Dann müssen sich die Bezirke natürlich ernsthaft mit der Senatsverwaltung hinsetzen und über die Konsequenzen aufklären.
Welche sind das?
Wir bekommen immer mehr gesetzliche Aufgaben, aber weitestgehend ohne zusätzliche Ressourcen und ohne zusätzliches Personal. Eine Konsequenz ist jetzt schon in den Standesämtern spürbar, weil wir von der Landes- und Bundesebene innerhalb kürzester Zeit drei neue gesetzliche Vorgaben, aber keinen Mitarbeiter bekommen haben, um das umzusetzen. Insofern musste ich die Reißleine ziehen und die Außeneheschließungen ab Juni einstellen. Ab der zweiten Jahreshälfte werden diese nicht mehr angeboten. Das wäre für meine Mitarbeiter nicht zu leisten gewesen. Sollte sich die Personalsituation in diesem Bereich nicht kurzfristig verbessern, muss ich in Betracht ziehen, die Eheschließungen unter der Woche an bestimmten Tagen weiter zu reduzieren, was leider Auswirkungen auf die Bürgerinnen und Bürger hat.
In Reinickendorf befinden sich die zwei großen Berliner Ankunftszentren für Geflüchtete. Dort leben tausende Menschen auf engstem Raum, zum Teil deutlich länger als vorgesehen. Wie soll die Integration der Menschen unter diesen Bedingungen gelingen?
Integration kann ohne ein gesamtstädtisches Integrationskonzept nicht gelingen. Aktuell sehen wir die Folgen davon, da der Senat nur punktuelle Lösungen anstrebt. Die Bezirke leisten zwar vor Ort viel Amtshilfe, denn sie sind vor Ort und machen das operative Kerngeschäft. Dabei ist schnelles Handeln erforderlich. Die Unterbringung der Geflüchteten mag ein zentrales Thema sein, aber die eigentliche Arbeit beginnt erst dann: Schule, Kita, gesundheitliche Versorgung, Integration in den Arbeitsmarkt, Ausbildung, Studium. Die zuständige Senatsfachverwaltung muss hier einen klaren Rahmen vorgeben, und es müssen Verantwortlichkeiten deutlich definiert werden, was jedoch innerhalb eines umfassenden Maßnahmenplans geschehen sollte. Das findet aber leider bisher nicht statt.
Die Situation im Ankunftszentrum Tegel ist besonders angespannt. Vor ein paar Wochen brannte eine Leichtbauhalle vollständig ab. Nun gibt es einen Masernausbruch. Trotzdem soll die Unterkunft voraussichtlich bis Ende 2025 weiter betrieben werden. Welche Perspektive sehen Sie für das Ankunftszentrum?
Diese Leichtbauhallen waren vielleicht als Erstantwort notwendig, aber sie sollten nur vorübergehender Natur sein. Wenn diese Menschen seit Monaten auf engstem Raum zusammenleben müssen und sich auf ihren Schlafstätten gerade einmal um die Achse drehen können, dann ist das keine menschenwürdige Unterkunft. Da muss dringend etwas passieren. Es ist klar, dass man die über 5.300 Flüchtlinge nicht von heute auf morgen über die gesamte Stadt verteilen kann. Aber deshalb sollen jetzt die neuen Wohncontainer und modularen Unterkünfte kommen. Der Senat muss diesen Weg mit uns schnell kommunizieren und auch ein Einvernehmen bezüglich der Standorte herstellen.
Das heißt, Sie gehen auch davon aus, dass die angekündigten Containerstandorte zur Entlastung oder irgendwann auch zur Auflösung des Ankunftszentrums in Tegel führen sollen?
So ist das gedacht durch den Senat. Bezüglich des geplanten Standorts am Borsigturm hatte ich mich bereits kritisch geäußert und zum TXL Nord habe ich selbst viele Fragen: Wo sollen die Kinder zur Schule oder in die Kita gehen? Macht man das alles auf dem Gelände? Baut man da noch eine Schule? Baut man eine neue Kita? Ich könnte Ihnen diese Fragen nicht beantworten, weil mir der Diskussionsstand nicht bekannt ist.