Sehr geehrter Herr Lange,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Gäste aus dem Ausland,
zunächst möchte ich mich kurz vorstellen, damit Sie wissen, mit wem Sie es jetzt zu tun bekommen:
Emine Demirbüken-Wegner
Staatssekretärin für Gesundheit im Senat von Berlin
Ich studierte von 1981-1986 Germanistik und Kommunikationswissenschaften an der TU Berlin. Anschließend war ich beim Sender Freies Berlin als Jounalistin tätig. Von 1988 bis 2006 war ich Ausländerbeauftragte beim Bezirksamt Schöneberg (ab 2001 Tempelhof-Schöneberg). Von 2006 bis 2011 war ich Mitglied im Abgeordnetenhaus von Berlin. Nachdem ich im September 2011 erneut das Mandat errungen hatte, wechselte ich im Dezember als Staatssekretärin in die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales. Seit 2004 bin ich Mitglied des Bundesvorstandes, seit 2012 Mitglied des Bundespräsidiums der CDU Deutschland.
Nun zu meiner heutigen Mission:
Als der Wunsch an mich heran getragen wurde, einige Anmerkungen zum Konferenzthema zu machen – selbstverständlich unter gleichzeitiger Einbeziehung der aktuellen deutschen Flüchtlingspolitik sowie meines politischen Werdegangs, darunter geht‘s nicht - wurde mir erst nach und nach bewusst, auf was ich mich da eingelassen habe. Sehr schwierig, meine Damen und Herren, alle Themen unter einen Hut zu kriegen.
Politischer Werdegang
Ich beginne mit dem scheinbar Einfachsten, meinem politischen Werdegang. Dazu kann ich mich kurz fassen:
Will man die Welt, in der man lebt, mitgestalten (auch politisch) – und das wollte ich immer - dann hat man in einer Demokratie die Freiheit der Wahl. Meine Wahl fiel auf die Partei, die mir mit ihrem Menschenbild, ihren Wertvorstellungen und ihrer Programmatik aus dem Herzen sprach. Das Übrige ist wie überall harte Arbeit - an der Basis, in den Gremien und in der Öffentlichkeit…also nicht jedem Falle ein Weg voller duftender Rosen. Und um es klar zu sagen, mein Ziel war es auch niemals Politik allein für Menschen für Migrationshintergrund zu machen, sondern immer für alle Bürgerinnen und Bürger. Ohne diese Überzeugung hätte ich auch keine gute Integrationsbeauftragte sein können. Als ich am 16. September 1988 als die erste – damals – Ausländerbeauftragte - ins Amt geholt wurde, fragte mich die Presse nach meinen Arbeitsschwerpunkten und war sichtlich über die Antwort, die Immigranten und die Deutschen integrieren zu wollen, verwundert! Erwartet hatten Sie, dass ich die „Einbahnstr-Mentalität“ fahre und aufzähle, wie ich die Menschen mit MGH in die deutsche Gesellschaft integriere. Aber damals wie heute war mein Selbstverständnis, nicht mit der ‚Brille einer Türkin‘ die Welt zu sehen, sehr ausgeprägt. Dieses Selbstverständnis - gepaart mit Fleiß und Leistung natürlich - führte dazu, dass ich in der letzten Legislaturperiode nicht Integrationspolitische Sprecherin, sondern Jugend und Familienpolitische Sprecherin der CDU und heute die Staatssekretärin für Gesundheit in Berlin wurde. Aber der Blick für die Menschen mit Migrationshintergrund und Ihre Geschicke sind mir in meinen unterschiedlichen Funktionen ein besonderes Anliegen. Und das genau ist auch die Brücke zu Ihrem heutigen Thema:
Fluchtursachen
Meine Damen und Herren, in Vorbereitung auf die Veranstaltung ist mir sofort die Verleihung der diesjährige Friedensnobelpreis in den Sinn gekommen. Dieser Preis, der an das sogenannte Dialog-Quartett in Tunesien ging, hat in der heutigen Situation eine herausragende Bedeutung, weil sie für uns ganz besondere Botschaften transportiert. In der Begründung formulierte die Nobelpreisjury, das Quartett habe durch geschickte Verhandlungen dazu beigetragen, dass „ein verfassungsmäßiges Regierungssystem errichtet werden konnte, das der gesamten Bevölkerung grundlegende Rechte garantiert, ungeachtet des Geschlechts, der politischen Überzeugung oder des religiösen Glaubens. Wir wollen damit das tunesische Volk auf seinem Weg in die Demokratie ermutigen…“.
In einer Zeitung las ich dazu, dass Oslo mit dieser Ehrung an die Wurzel der aktuellen Flüchtlingskatastrophe geht. Diese Meinung teile ich, denn stellen Sie sich einmal vor, in Tunesien wäre es nicht gelungen, einen blutigen Bürgerkrieg zu verhindern. Die Flüchtlingswelle nach Europa wäre um ein Vielfaches gestiegen – auch in Berlin.
Flüchtlingspolitik
Zur Illustrierung der aktuellen Berliner Situation nur zwei Zahlen: Berlin hat bis jetzt 64 000 Flüchtlinge aufgenommen. Momentan gibt es einen Zugang von 700 bis 800 Flüchtlingen täglich. Alle diese Menschen müssen bekleidet, verköstigt und medizinisch versorgt werden. Und bedenken Sie die Integrationsleistungen, die jetzt und künftig aufgebracht werden müssen: Vermittlung der deutschen Sprache, Schule, Ausbildung, Integration durch Arbeit.
Das sind große Herausforderungen, die gestemmt werden müssen. Die Kommunen sind am Rand ihrer Belastungsfähigkeit und die Menschen werden zunehmend ratloser, weil sie spüren, dass die Verantwortlichen sich uneins sind und nicht sagen können, wie es weiter gehen soll. Machen beginnen zu zweifeln, ob unsere Flüchtlingspolitik richtig ist. Andere stellen sich offen dagegen. Doch immer noch ist die Mehrheit für die Aufnahme der Flüchtlinge. Die Hilfsbereitschaft ist ungebrochen, viele Bürgerinnen und Bürger engagieren sich ehrenamtlich auch hier in Berlin. Ohne sie würde vieles nicht laufen.
Meine Meinung ist, wir können es schaffen, wenn wir uns auf unsere preußisch-deutschen Stärken besinnen: Ordnen, Organisieren, unkonventionelle Lösungen finden, Flexibilität an den Tag legen und vor allem agieren statt reagieren. Ich halte es für schädlich, wenn Übergangslösungen zu Dauereinrichtungen werden. Die Zuwanderer müssen ohne Verzug
in die Gesellschaft hinein genommen werden. Deshalb finde ich auch Willkommensklassen mittelfristig für fragwürdig. Die Kinder müssen so schnell wie möglich in die Regelklassen gehen und nachmittags intensiv betreut werden. Die Eltern müssen einen schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten und dürfen nicht durch bürokratische Hürdenläufe seitens der Jobcenter von Maßnahme zu Maßnahme geschleust werden.
Wir dürfen keine Ghettoisierung zulassen und durch kluge Wohnungspolitik gute Verteilung ermöglichen. Alle müssen in das deutsche Sprachbad eintauchen. Vor allem darf nicht zugelassen werden, dass sich die Flüchtlinge monatelang in Behelfsunterkünfte eingesperrt fühlen ohne Aufgaben, ohne Arbeit, ohne Tagesstruktur, ohne eigene Integrationsbemühungen. Das führt insbesondere bei den vielen alleinstehenden jungen Männern, die zu uns kommen zu Frustrationsstau und Aggression. Wir selbst haben es in der Hand, solchen Entwicklungen entgegen zu steuern. Also besinnen wir uns auf unsere Stärken.
Ein Wort sei mir noch in im Hinblick auf unsere /auf meine Kanzlerin gestattet. Ich stehe voll hinter ihrer Politik und bewundere ihre Willenskraft und innere Stärke. Ihre Haltung ist ehrlich, realistisch und wertebewusst - Menschen in Not kann man nicht abweisen, sonst ist das nicht mein Land -. Sie sagt auch klar, was geht und was nicht geht (Abschiebung, Integrationsunwillige, Sicherheitslage). Mit ihren Initiativen auf EU- und nationaler Ebene ist sie auf dem richtigen Weg. Sie weiß auch um die Gefahren und die schwierige Lage, in der wir uns zurzeit befinden (Terror, Anschläge in Paris, Überforderung der Kommunen). All dieses im Blick habend ist es richtig von ihr, die Menschen in unserem Lande mitzunehmen, sie nicht zu entmutigen, sondern ihnen etwas zuzutrauen und zu sagen „wir schaffen das“.
Perspektiven für die Menschen in ihren Heimatländern schaffen
Doch zurück zum Beispiel Tunesien. Es vermittelt eine zweite wichtige Botschaft, die ein Mitglied des Dialog-Quartetts, nämlich die Präsidentin des tunesischen Arbeitgeberverbandes in folgende Worte kleidete: „…Wir wollen den jungen Menschen Hoffnung machen, Hoffnung, dass sie es in Tunesien schaffen werden…“. Diese Aussage halte ich von fundamentaler Bedeutung, denn darum geht es im Eigentlichen: Den Menschen Hoffnung machen und ihnen in ihren eigenen Heimatländern Perspektiven eröffnen - auch wirtschaftlich.
Deshalb muss man auf Internationaler und nationaler Ebene die
Fluchtursachen bekämpfen
Es gilt die „Völkerwanderung“ zu stoppen, Hilfen in den betroffenen Regionen stärken: Einigkeit herrscht durchaus bei folgenden Fragen und Problemen:
- Kampf gegen Terror und Willkür,
- Kriege und Bürgerkriege beenden
- zielgerichtete Unterstützung für Länder, die unter wirtschaftlichen Verwerfungen leiden,
- Hilfe für notleidende Bevölkerung vor Ort,
- Abwanderung der Stärksten und Leistungsfähigsten verhindern, denn mit ihnen gehen die Entwicklungsperspektiven für mehrere Generationen verloren,
- Zusammenarbeit stärken,
- Entwicklungshilfe an den richtigen Punkten ansetzen – Wissenstransfer, in Bildungs- und Ausbildungspartnerschaften investieren, Mikrokredite, Frauenförderung, Unterstützung KMU,
- Korruptionsbekämpfung,
- Aufklärung über Demokratie und Rechtsstaat
Ist nach diesen Fragestellungen, die soziale Marktwirtschaft als Lösung des Problems zu sehen?
Die vorherige Aufzählung zeigt, dass die soziale Marktwirtschaft allein nicht die Lösung der Probleme sein kann. Dazu gehört ein ganzes Paket an Maßnahmen, das geschnürt werden muss.
Die soziale Marktwirtschaft könnte allerdings als Leitbild zur Perspektiventwicklung beitragen. Sie hat den Menschen als wichtigen Bezugspunkt und orientiert sich insbesondere an zwei wichtigen Grundwerten:
- Freiheit - mit dem Markt als Ort der Entfaltung ökonomischer Freiheit und dem Wettbewerb als Instrument ökonomischer Freiheit sowie
- Gerechtigkeit - mit den zwei Säulen Sozialpolitik und Partizipation einschließlich humaner Standards.
Doch beides kann – soll es für alle Menschen gelten – nach meiner Meinung nur in und unter demokratischen Verhältnissen gedeihen, in denen grundlegende Rechte für alle verteidigt werden: Dazu zählen für mich vor allem Glaubens-, Gewissens-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit und die Gleichstellung von Frau und Mann.
Vor diesem Hintergrund kann ich daher nur warnen, die soziale Marktwirtschaft allein als Struktur aufzufassen, die als Vorbild für wirtschaftliches Wohlergehen dienen kann. Ich bin überzeugt, dass man sich auch mit den geistigen Wurzeln und der dahinter stehenden Philosophie auseinandersetzen muss, ansonsten bleibt von dem Leitbild „soziale Marktwirtschaft“ nur eine leere Hülle.
Kann man/ soll man aber trotzdem unsere Erkenntnisse und Lösungswege exportieren?
Klares Nein - man kann aber über den Dialog in Augenhöhe Verständnis schaffen, überzeugen und gegenseitig voneinander lernen.
Hier greift dankenswerter Weise das KAS-Projekt, um diese Sicht zu vertiefen. Es liefert mit seinen konkreten Analysen zu konkreten Institutionen im Vergleich mit Deutschland, differenzierte Antworten und zeigt realistische Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der muslimisch geprägten Welt auf. Das gestattet Dialog und Informationsaustausch auf beiden Seiten ohne Beckmesserei und erhobenem Zeigefinger.
Ich würde mir dabei allerdings wünschen, dass immer eine klare Sprache gesprochen wird, insbesondere dann, wenn es um grundlegende Auffassungsunterschiede geht – Beispiel „islamisches Bildungsverständnis“- hier wissen nur INSIDER, was damit gemeint ist.
Meine Auffassung und meine Erfahrung sind, Unterschiedliches muss als Unterschiedliches benannt werden dürfen, alles andere ist falsche Rücksichtnahme und kann fatale bzw. desintegrative Folgen haben. Denn wie im Projekt ausgeführt, gelten die dort gemachten Erkenntnisse auch für die muslimisch geprägten Gemeinden in Deutschland. Deshalb: Ohne klare Positionen, ohne klare Haltung zu unseren unveräußerlichen verfassungsrechtlichen Werten kann es auch keine richtige Verständigung und kein grundlegendes Verständnis geben. Echter Dialog ist keine Einbahnstraße. Wir dürfen deshalb nicht bei der Schlussfolgerung stehen bleiben, nur die eine Seite kann daraus Impulse für die Entwicklung aufgreifen und die andere darf neugierig bleiben, weil sie viele Dinge nicht kennt bzw. diesen zögerlich und mitunter sogar ablehnend gegenüber steht. Denn wenn es darum geht, echte Schnittstellenmengen herzustellen mit Erkenntnisgewinn und Lösungsvorschlägen, dürfen wir in diesem Prozess nicht zaghaft sein.
Abschluss
Ich bin beeindruckt, wie hochkarätig die Konferenz besetzt ist, was für ein anspruchsvolles Programm vorliegt mit noch anspruchsvolleren Zielstellungen.
Vor diesem Hintergrund sind interessante Ergebnisse zu erwarten – insbesondere bei den Themenkomplexen
Einfluss der Religion auf die Wirtschaftsordnung – ggf. Hinweis auf Türkei
Bildungs- und soziale Sicherungssysteme
Gerade in diesen Bereichen wird die Vielfalt, die es dazu in der muslimischen Welt gibt, besonders deutlich werden. Doch es sind auch die Schnittstellen, an denen die grundlegenden Unterschiede zwischen uns und der muslimischen Welt zutage treten können.
Ich wünsche Ihnen allen spannende Diskussionen, interessante Ergebnisse und insgesamt einen erfolgreichen Konferenzverlauf.